27. Juli 2024

Stumme Schreie

Leseprobe

›Stumme Schreie‹
Alexandra Sommerwind

Klappentext:

Chris könnte eigentlich glücklich mit seinem Leben sein: Er hat einen guten Job und einen ihn liebenden Freund an seiner Seite. Selbst sein sturköpfiger Vater hat sich inzwischen mit seiner Homosexualität arrangiert. Mit seinem Partner allerdings eher weniger, was er die beiden immer wieder spüren lässt. Während Chris mit dieser Situation gut klar kommt, schaut es bei seinem Freund Florian etwas anders aus. Er würde in ihrer Beziehung an liebsten schon viel weiter sein, was Chris aus Scheu vor seinem Vater immer wieder blockiert. Aktuell hat Chris jedoch andere Sorgen, als sich mit dieser Streitigkeit zu befassen, denn wie jedes Jahr im Juli beginnt die Last der Vergangenheit ihn beinahe zu erdrücken. Vor zwölf Jahren kam es zu einem tragischen Unfall, bei dem sein bester Freund Jakob ums Leben kam. Schuld dafür war er allein, zumindest denkt er das. Florian soll von all dem nichts erfahren, allerdings spürt dieser genau, dass Chris ein großes Geheimnis vor ihm verbirgt. Als dann auch noch der totgeglaubte Jakob plötzlich vor ihm steht, beginnt Chris’ Welt erneut ins Wanken zu geraten. Besonders als sich herausstellt, dass dieser versucht die Beziehung der beiden zu zerstören. Er geht sogar so weit, dass ihr Leben dabei in Gefahr gerät.

© Alexandra Sommerwind | Himmelstürmer Verlag

Wasser, um ihn herum war alles voller Wasser. Er wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Er schrie, doch niemand konnte ihn hören. Stattdessen fingen seine Lungen an, wie Feuer zu brennen und die Dunkelheit drohte die Überhand über ihn zu gewinnen. Das Einzige, was er noch sah, war sie, welche verzweifelt ihre Hand nach ihm ausstreckte. Er versuchte noch mit aller Macht sie zu ergreifen, doch dann begann die Welt um ihn herum zu verschwimmen und versank in grenzenloser Dunkelheit.
Erneut öffnete er die Augen. Das Wasser war verschwunden. Dennoch befand er sich weiterhin in völliger Finsternis. Einzig der Mond, welcher in Form einer Sichel helles Licht auf ihn herunter strahlte, war zu sehen und dennoch schien es, als würde die Dunkelheit das helle Licht des Mondes völlig verschlingen. Obwohl er nicht wusste wohin, ging er ein paar Schritte voran. Ohne jede Vorwarnung ertönte plötzlich ein Schrei in der Finsternis. Ein Schrei, welcher das Blut in seinen Adern gefrieren ließ.
Chris schreckte im Bett auf. Er war schweißgebadet und konnte seinen Atem schwer kontrollieren. Hektisch versuchte er irgendwie nach Luft zu schnappen, doch dies bekam er nur beiläufig mit. Zu sehr war er damit beschäftigt, das eben Gesehene irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Noch während er nach Luft rang, spürte er plötzlich zwei starke Arme, welche sich liebevoll um seine Schultern legten. Er war noch so in seinem Traum gefangen, dass selbst diese Geste ihn erschrocken zusammenzucken ließ.
„Chris? Oh Gott! Alles gut! Du hast nur geträumt“, versuchte Florian ihn zu beruhigen und drückte ihn fest an sich. Er war erwacht, als Chris aufgeschreckt war und versuchte nun diesen irgendwie wieder zu beruhigen. Ganz langsam strich er mit seinem Daumen über Chris’ schweißnasse Wange und flüsterte ihm beruhigende Worte zu. Dieser starrte immer noch völlig apathisch vor sich hin, schien jedoch langsam wieder im Hier und Heute anzukommen. Er fasste sich mit seiner Hand an die Stirn und begriff allmählich, dass das eben erlebte nur ein Traum gewesen war. Florian legte ganz behutsam seinen Kopf an den von Chris. Sie waren jetzt seit etwas weniger als einem Jahr ein Paar, verbrachten seitdem so gut wie jede Nacht zusammen, aber so hatte er seinen Liebsten bisher noch nie erlebt.
Als er spürte, dass sich seine Atmung normalisierte, traute er sich noch mal ihn anzusprechen.
„Alles okay? Willst du reden?“, flüsterte er so leise, dass Chris es gerade so noch hören konnte.
Er wollte ihn nicht noch mal verschrecken, der Traum musste echt schlimm gewesen sein. Doch dieser schüttelte nur langsam mit dem Kopf.
„Dann weiterschlafen?“
Chris sah ihn kurz an und nickte nur. Gemeinsam legten sie sich wieder hin, eng aneinander gekuschelt. Das Gefühl Haut an Haut beruhigte ihn irgendwie. Er spürte, wie Florians Hand ganz langsam seinen Arm auf und abstrich. Genießerisch schloss er die Augen und spürte nur noch diese Streicheleinheiten sowie den warmen Atem seines Liebsten an seinem Hals. Florians Hand stoppte nach einiger Zeit und auch sein Atem wurde immer ruhiger. Chris lächelte, Flori war wohl nun wieder eingeschlafen. Und obwohl sein Puls sich mittlerweile wieder beruhigt hatte, wusste er, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr bekommen würde. ‘Dieser verdammte 15. Juli!’

Chris saß in seinem Büro und brütete schon seit mehreren Stunden über den gleichen Tabellen. Sein Blick schweifte immer wieder hin und her. Angefangen von seinen Papieren, über die weiß gestrichenen Wände, bis hin zu der kleinen grünen Topfpflanze, welche im Übrigen auch mal wieder gegossen werden müsste. Eigentlich war seine Aufgabe heute nichts Außergewöhnliches, aber aktuell bekam er irgendwie seinen Kopf nicht frei. Wie auch, nach dieser Nacht! So heftig hatte er schon lange nicht mehr geträumt. Nach einer gefühlten Ewigkeit war er doch irgendwann wieder eingeschlafen. Als sein Wecker ihn aufschreckte, fühlte er sich unglaublich gerädert. Zu seiner Erleichterung war Florian bereits auf Arbeit. Sie arbeiteten zusammen im Lauenburg-Hotel in Blankerode, einem kleinen verschlafenen Städtchen mitten im Harz. Sein Vater, Frank von Lauenburg, besaß inzwischen eine ganze Kette an Hotels. Er hatte vor vielen Jahren mit einem winzig kleinen Hotel im schönen Harzkreis angefangen und diese zu den mittlerweile in ganz Deutschland vorkommenden und auch bekannten „Lauenburg-Hotels“ ausgebaut. Selbstverständlich alle mit 4 Sternen versehen. Von klein auf war für Chris vorgesehen, dass er irgendwann die Hotelkette übernehmen sollte und so arbeitete er, zusammen mit seinem Vater, hier im Hotelbüro und verwaltete die ganze Kette. Immer den strengen Blick seines Vaters im Nacken, damit sein Sohn seine geliebten Hotels nach seinem Austritt auch ja nicht in den Ruin trieb. Obwohl Chris sich sicher war, dass sein Vater wohl noch, bis er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, hier weiterarbeiten würde. Nie würde er sein „Baby“ einfach so aus der Hand geben. Aber um ehrlich zu sein, war Chris da auch gar nicht wirklich erpicht drauf. Klar freute er sich, irgendwann mal der Chef vom großen Ganzen zu sein, aber so wie es jetzt war, als Geschäftsführer mit hoher Verantwortung, reichte ihm das eigentlich völlig aus. Ihm machte die Arbeit Spaß und darauf kam es schließlich an. Zumal er mit seinen 28 Jahren in einem anderen Hotel vermutlich noch keine so hoch angesehene Position erhalten hätte. Er mochte zwar diese Vetternwirtschaft nicht, aber er versuchte das wieder wett zu machen, indem er mehr als 100 % seiner Kraft in diese Arbeit steckte. Hier hatte er außerdem auch seine große Liebe kennengelernt: Florian Schneider. Dieser hatte vor gut einem Jahr als Koch in der Küche angefangen und war Chris gleich am ersten Tag aufgefallen: groß, dunkelblond und diese dunkelbraunen Augen, in dessen Tiefe man sich nahezu verlieren konnte. Ein bisschen durchtrainierter hätte er vielleicht sein können, aber trotzdem konnte sein Körper sich durchaus sehen lassen.
Sein Vater war allerdings nicht übermäßig begeistert von seiner Partnerwahl, was aber wohl Großteils daran lag, dass Florian ein Mann war. Frank von Lauenburg hatte schon immer eine genaue Vorstellung von der Zukunft seines Sohnes: Die Führung der Hotels, eine liebende Ehefrau, zwei Kinder und einen Hund.

[Stumme Schreie | Datum der VÖ: 16. August 2020]

© Text & Cover: Alexandra Sommerwind | Himmelstürmer Verlag;
Coverfoto: IStock
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafikdesigner,
www.olafwelling.de

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
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