7. Dezember 2024

Leseprobe Neustarten | Stephano

Leseprobe

›Neustarten‹
Stephano

Klappentext:

Gefühlschaos pur auf der Suche nach Liebe und Freundschaft
Tom macht am Rande der Abifeier mit seinem besten Freund Joschi rum. Als der Kontakt zwischen den beiden danach abbricht, geht Tom davon aus, dass Joschi hetero ist und nichts mehr von ihm wissen will.
Zwei Jahre später lebt Tom in einer Beziehung mit seiner Schulfreundin Pia, doch die Enge des Dorfes und Pias Erwartungen schränken ihn total ein. Er will nicht mehr die große Hetero-Lüge leben. Als Pia ihm die Pistole auf die Brust setzt, weiß er: Er muss weg. Sofort! Hals über Kopf flieht er aus dem Dorf in die Stadt. Doch das freie, schwule Leben dort ist anders als erwartet. Nach einer ersten großen Enttäuschung bekämpft er seine Einsamkeit damit, dass er sich tief in die queere Szene und in erotische Abenteuer stürzt. Mit allen Konsequenzen. Doch da läuft ihm Joschi wieder über den Weg …

 
© Stephano

Tom hatte die Abifeier in der Aula der Schule verlassen, weil er frische Luft brauchte. Der Alkohol war ihm zu Kopf gestiegen und dämpfte seine Gedanken, aber er mochte diesen Effekt, weil er dann weniger über sich und sein Leben grübelte. Daher hatte er einen Moment allein sein wollen, um dieses Gefühl voll auszukosten. Die Haare fielen ihm halblang ins Gesicht und er hatte sich geweigert, einen Anzug anzuziehen, obwohl seine Mutter ihn dazu gedrängt hatte. Ihm gefiel sein Stil: die ausgebeulte Jeans, der schwarze Hoodie und die Sneakers. Sollten die anderen doch von ihm denken, was sie wollten.
Sein bester Freund Joschi stand plötzlich neben ihm und sah ihn verschmitzt an. Joschis Mutter hatte ihm zwar ein schmales Sakko und eine Stoffhose aufschwatzen können, aber er trug das Hemd immerhin offen und gewährte Tom so einen reizvollen Blick auf die trainierte Brust und damit auf einen Körper, den er seit Jahren kannte, weil sie oft zusammen im Schwimmbad gewesen waren und immer wieder beieinander übernachtet hatten. Nur kurz sinnierte er über Joschis Look, dann wandten sich seine Gedanken wieder anderen Dingen zu. Sie hatten das Abitur in der Tasche und der Sommer lag vor ihnen. Joschi hielt einen Joint hoch.
»Kommst du mit in den Fahrradkeller?«, fragte er.
Tom nickte und stieß sich von der Mauer ab, an der er lehnte. Sie schlenderten über den dunklen Schulhof, schlüpften durch die Holztür in den Fahrradkeller, in dem sie während der letzten zwei Jahre immer mal wieder gekifft hatten, und schlichen durch den dunklen Raum. Licht brauchten sie dazu nicht, denn sie kannten hier jeden Zentimeter. In einer Ecke lag die alte Matratze auf dem Boden, die der Hausmeister zum Glück nicht wegräumte und auf der sie es sich nun bequem machten. Joschi zündete den Joint an und reichte ihn kurz darauf an Tom weiter.
Der Rausch stieg innerhalb von Sekunden in Toms Gehirn und machte ihn ganz leicht. Obwohl ihn die Schule in den letzten Monaten total genervt hatte, wünschte er sich jetzt, sie könnten einfach immer so weitermachen: Kiffen, abhängen, zocken, über die anderen aus der Stufe lästern. Mehr wollte Tom eigentlich nicht. Stattdessen stand bald seine Ausbildung an. Tom ahnte jetzt schon, dass die kein gutes Ende nehmen würde. Aber er hatte sich dem Druck seines Vaters gebeugt, so wie er es immer getan hatte.
»Wann fängt dein Studium an?«, fragte er Joschi und bemerkte dabei, dass er sich nicht mehr ganz klar artikulieren konnte. Er kicherte.
»Was ist los?«, fragte Joschi.
»Besoffen und bekifft.«
Joschi zog am Joint und stieß belustigt den Rauch in die Dunkelheit des Fahrradkellers.
»Im Oktober fange ich an. Aber ich ziehe schon nächste Woche in die Stadt. Ich habe einen Job gefunden und will erst mal ein bisschen Geld verdienen.«
An ein Studium hatte Tom auch gedacht, die Idee aber schnell wieder verworfen. Er wollte nicht schon wieder lernen. Und was sollte er auch studieren? Sein Vater hatte ihm ja oft genug klargemacht, wo sein Platz war: hier in der Provinz, mit einem guten Job, einem Eigenheim und einer Rente, auf der er sich ausruhen konnte. Für ein Studium war da kein Platz.
Der Joint war bis zum Ende aufgeraucht. Tom lehnte sich mit angewinkelten Beinen an die raue Wand des Fahrradkellers und schloss die Augen. Es fühlte sich an, als würde er schweben. Dieses Zeug von Joschi war fantastisch. Einerseits verlangsamte es alles und bettete Tom in eine wohlige Welt ohne Probleme, andererseits machte es ihn auch jedes Mal geil.

Manchmal rauchte er zu Hause allein einen Joint und wichste dann zu seinen Fantasien. Fantasien, über die er mit niemandem sprach, weil sie ihm eigenartig falsch vorkamen. Erinnerungen an die Momente, in denen er seine Mitschüler nackt gesehen hatte. Aber seine Fantasien gehörten ihm ganz allein.
Als er Joschis Hand auf seinem Knie bemerkte, konnte er nicht sagen, wie lange sie schon da gelegen hatte. Tom spürte das Blut in seinem Penis pulsieren und atmete tief aus. So durfte es bleiben: Mit seinem besten Kumpel in einem dunklen Fahrradkeller sitzen, kiffen und an Sex denken.
Ihn störte es auch nicht, dass Joschis Hand nun langsam an seinem Oberschenkel aufwärts wanderte. Wohlige Wärme ging von ihr aus. Er legte seine Hand auf Joschis Bein.
»Woher hast du dieses Zeug bloß?«, fragte er kichernd. »Damit könnte man den Kirchenvorstand zu krassen Orgien verführen.«
Joschi lachte. »Als wenn ich den verführen wollte!«
»Wer will das schon?«
Joschis Hand erreichte seinen Schritt und legte sich auf den Stoff über Toms Schwanz. Toms Atem stockte. Alles in ihm wollte, dass sie dort einfach eine Weile liegen blieb. Seine Hand suchte sich nun ebenfalls den Weg an Joschis Bein aufwärts. Toms Schwanz zuckte und die Jeans war plötzlich viel zu eng. Joschis Hand verweilte auf dem Stoff der Hose und strich sanft über die darin verborgene Erektion.
Tom beschloss, dass ihm jetzt einfach alles egal sein konnte. Er war jung, er hatte das Abitur geschafft, das ganze Leben lag vor ihm. Er schob seine Hand weiter aufwärts, und als er Joschis Schwanz erreichte, stellte er fest, dass Joschi genauso geil war wie er selbst. Er tastete über die steife Latte in der braven Stoffhose. Joschi stöhnte leise und griff nun fester nach Toms Schwanz. Er rieb ihn und Tom spürte, dass er sich nicht mehr lange zurückhalten konnte.
Von draußen näherten sich Stimmen. Tom erschrak und im gleichen Moment kam er. Er stöhnte auf. Die Tür zum Fahrradkeller quietschte in den Angeln und Tom zog seine Hand blitzschnell aus Joschis Schritt. Er drückte sich an der Wand hoch. Ihm war schwindelig vom Alkohol und der Kiffe, er fühlte das warme Sperma in seiner Hose und dann standen drei Mädels aus ihrem Jahrgang vor ihnen.
»Stören wir?«, fragte Pia kichernd und sah Tom neugierig an. »Wir wollten hier nur kurz einen Joint durchziehen.«
»Macht’s euch bequem. Wir sind gerade fertig«, sagte Tom mit belegter Stimme und ging zügig an den Mädels vorbei auf den Ausgang zu.
Er hechtete durch die Tür und rannte über den Schulhof.
»He, Tom, warte mal!«, hörte er Joschi hinter sich rufen.
Aber Tom wollte jetzt nicht mit ihm reden. Was hatte er getan? Er lief weiter, stürmte in die Aula, schnappte sich an der Bar ein Bier und verzog sich in eine Ecke, halb hinter einem Vorhang versteckt, in der ihn niemand sah. Er trank das Glas in einem Zug halb leer, als müsste er einen unangenehmen Geschmack loswerden. Er lehnte sich leicht zitternd an die Wand, schloss für einen Moment die Augen und riss sie dann wieder auf. War das wirklich gerade passiert?
Die Tanzfläche war rappelvoll. Tom tastete vorsichtig seinen Schritt ab. Er musste den feuchten Fleck auf seiner Hose verstecken. Zweimal sah er Joschi noch suchend durch den Raum gehen und mit ein paar Leuten sprechen, die alle die Köpfe schüttelten, dann machte sich Tom vom Acker.

Zwei Jahre war das nun her, und seitdem hatte Tom jeden Kontakt zu Joschi vermieden.

[Neustarten | Datum der VÖ: 15. November 2021]

© Text: Stephano (Stephan Meyer);
© Cover: Herrn Meyers Buchmacherei
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
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