27. Juli 2024

Leseprobe Die Scherben seiner Seele Bd.2 | Jayden V. Reeves

Leseprobe

›Die Scherben seiner Seele Bd.2‹
Jayden V. Reeves

Klappentext:

Fast zehn Monate nach dem schrecklichen Ereignis, welches Riley Buchanans Leben abrupt in ein namenloses dunkles Nichts gestürzt hat, ist dieser nach Irland geflohen, um sich dort mit den nun quälenden Vorwürfen seiner eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Doch der junge Mann ist hoch traumatisiert und läuft rasch Gefahr, sich selbst zu verlieren. Schließlich treibt ihn sein Gewissen zu der Entscheidung, dass er die Jagd auf den Mann eröffnen muss, welchem seit jenem Tag nichts als sein blanker Hass entgegen schlägt.

Stück für Stück stiehlt sich Riley daraufhin als verlogene Kopie seiner Selbst in eine ihm fremd gewordene Welt zurück und setzt alles an die Umsetzung eines bitteren Rachefeldzuges, bis er jäh daran erinnert wird, dass ein alter Bekannter noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen hat.
Er sieht nur einen Ausweg: Er muss seinem Feind ein letztes Mal entgegentreten und den Kampf zu Ende bringen.

»Riley ist der Typ Mensch, der in seinem eigens errichteten Labyrinth aus Mauern und Grenzen regelrecht verloren gegangen ist.«
Lena M. Brand | Autorin

Anmerkung des Verlages:
In diesem Buch werden eine schwere Traumatisierung und deren mögliche Auswirkungen auf die menschliche Psyche thematisiert. Weiterhin werden explizite Inhalte von massiver physischer, psychischer und sexueller Gewalt sowie fiktive erotische Phantasien geschildert.
Im realen Leben dürfen sexuelle Handlungen jeder Art ausschließlich zwischen gleichberechtigten Partnern im gegenseitigen Einvernehmen stattfinden.
Der Inhalt dieses Buches ist für Personen unter 18 Jahren nicht geeignet.

Es handelt sich um die Fortsetzung des Romans ›Der steinerne Garten‹, welcher 2017 im Rediroma-Verlag erschienen ist. Um die Geschehnisse im vorliegenden Band zu verstehen, ist das Lesen von Band 1 unerlässlich.
[Achtung: Band 1 wird derzeit stilistisch und inhaltlich überarbeitet und in zweiter Auflage neu publiziert werden.]

© Jayden V. Reeves | Rediroma Verlag

Missmutig drehte er sich zu Rory um und beobachtete hilflos, wie dieser sein Handy hervorzog und eine kurze Tastenkombination eingab. Rileys Lippen zuckten. Innerlich schimpfte er sich einen Idioten, dass er tatsächlich gehofft hatte, Samuel hier nicht über den Weg zu laufen. Unwohl setzte er seine Cap auf und zog den Schirm tiefer in die Stirn. Er konnte nur hoffen, dass Samuel es ebenfalls vorzog, wenn niemand erfuhr, dass er die vorletzte Nacht in seinem Bett verbracht hatte.
»Wie geht es deinem Dad?«, fragte Kane, als er flüchtig seinen Blick auffing.
Riley sah zu Boden. Über seinen Vater zu reden, gehörte nicht gerade zu seinen bevorzugten Themen. »Er ist tot«, schoss es hart aus ihm heraus.
»Oh.« Kane wirkte betroffen.
»Krebs.«
»Das tut mir leid. Ich habe beide gut gekannt. Auch deine Mutter.«
Zwischen Rileys Augenbrauen bildete sich eine steile Falte.
Gut gekannt?
Samuel Namara zu vögeln war definitiv ein Fehler gewesen.
Verdammt, wenn das die Runde macht, bin ich geliefert.
Verstohlen sah er zum Schreibtisch herüber.
Kane räusperte sich und holte eine Pfeife aus der Brusttasche seines Pullunders hervor. Gemächlich klopfte er sie aus und öffnete gleichzeitig mit der anderen Hand eine kleine Dose, welche neben dem überfüllten Stiftköcher stand. Sogleich quoll brauner Tabak heraus.
»Mister Namara«, sagte Riley zögernd. »Woher …« Er stockte, als sich schnelle, polternde Schritte näherten. Zwei Sekunden darauf erblickte er Samuel, in der Hand einen Schutzhelm haltend.
»Ja, Dad?«, fragte dieser und bremste scharf ab, sobald er Riley entdeckte. Nur allzu deutlich, brachte er seine Überraschung zum Ausdruck, indem ihm schlichtweg der Mund offenstehen blieb.
Wehe du sagst was.
Riley sah ihn warnend an und schüttelte leicht den Kopf.
»Sammy, das ist Riley. Er wird Mickey ersetzen. Nimm ihn mit und gib ihm Johns alten Helm und seine Schuhe. Die müssten ihm passen. Danach könnt ihr Rick helfen.«
»Okay«, murmelte Samuel geistesabwesend an seinen Vater gewandt und auf seinem sommersprossigen Gesicht breitete sich langsam ein erfreutes Lächeln aus, welches Riley mit wachsendem Unwillen und gerunzelter Stirn quittierte.
Vergiss es, Namara.
Samuel punktete daraufhin mit der Erkenntnis, dass Riley seine Wiedersehensfreude nicht teilte, und sein Lächeln erlosch so schnell, wie es erschienen war.
»Dann los«, forderte Kane seinen Sohn auf. »Die Scheune stellt sich nicht von alleine auf und wenn dir dein Bruder Marc über den Weg läuft, nimm ihn gleich mit.«
Samuel nickte ohne ein weiteres Wort und verließ das Zimmer. Riley folgte ihm. Nacheinander stiegen sie im Hausflur die niedrige Holztreppe hoch, deren Stufen mit einem abgewetzten, dunkelrot gemusterten Teppich bespannt waren und jeden ihrer Schritte dumpf klingen ließ. Im Dachstuhl angekommen, ging Samuel einen kurzen Flur hinab und öffnete an dessen Ende eine Tür, die sie in eine kleine Kammer führte. Erwartungsgemäß besaß sie eine solch starke Schräge, dass der Platz, wo sie aufrecht stehen konnten, erheblich begrenzt war, zumal an der einzigen geraden Wand ein großer Kleiderschrank stand.
Flüchtig sah Riley sich um. Der Raum war relativ einfach eingerichtet und die dicke Staubschicht auf den Möbeln verriet, dass hier schon lange niemand mehr geschlafen hatte. Die Luft war stickig und unweigerlich musste er husten.
Samuel deutete mit einer einladenden Bewegung auf einen einsamen Stuhl. »Setz dich, ich muss die Schuhe erst suchen.«
Okay, aber wir werden nicht über vorgestern reden. Oder warum ich abgehauen bin.
Schweigend nahm Riley Platz und sah Samuel dabei zu, wie dieser sich im Innern des Schranks zu schaffen machte. Widerwillig musste er sich eingestehen, dass er ihn schon irgendwie mochte. Samuel war ein attraktiver Mann. Rasch wandte er den Blick ab.
Die plötzlich so starke Präsenz seiner Bisexualität verunsicherte ihn nach wie vor.
Nach einer missglückten Annäherung gegenüber einem anderen Jungen, war seine Sexualität ab seinem vierzehnten Lebensjahr ausschließlich von Frauen beherrscht worden. Weitere Gründe, die verbotenen schwulen Phantasien zu verdrängen, waren Angst und Scham gewesen; geboren aus der konservativen Erziehung, die ihm widerfahren war. Tatsächlich war er lange Zeit darin erfolgreich gewesen und der einmalige, höchst peinliche, Zwischenfall in den Schulduschen war vollkommen in Vergessenheit geraten. Doch die Begegnung mit Nathanyel hatte die Dinge ein weiteres Mal neu geordnet und trotz seines tiefen inneren Zwiespaltes, hatte er sein sexuelles Interesse gegenüber Männern nicht mehr länger leugnen können.
Verstohlen schielte er zu Samuel zurück. Vielleicht sollte er es doch ein zweites Mal darauf ankommen lassen. Aber schon im nächsten Moment spürte er einen inneren Stich.
Verbotener Gedankengang.
Reumütig senkte er den Kopf und schlug die Augenlider nieder.
Es wäre ihm gleich gewesen. Vollkommen gleich.
›Ich verlange lediglich, dass du dich schützt.‹
Riley presste die Kiefer aufeinander und atmete tief ein. Ja, wahrscheinlich wäre es Nathanyel egal gewesen, aber dennoch fühlte er sich plötzlich gehemmt.
›Traust du dich etwa nicht?‹
Fast konnte er den Spott in Nathanyels dunkler rauer Stimme hören und unwillkürlich schob sich der Gedanke in sein Bewusstsein, dass dieser garantiert über seine stetigen, höchst emotionalen Ausbrüche gelacht hätte.
›Einen kühlen Kopf zu bewahren, bringt einen in den meisten Fällen weiter als so manch theatralischer Gefühlsausbruch.‹
Sicherlich. Du hast ja so recht.
Angestrengt blinzelte er gegen die mit blassen Stockflecken übersäte Dachschräge. Er musste sich zusammenreißen.
Nur hat das mit ›trauen‹ wenig zu tun, Nate.
Ein zweites Mal mit Samuel Namara würde er bereuen. Das wusste er. Niemals durfte er sich auf jemanden tiefer einlassen, als es für das Vergessen dienlich war.
Glücklicherweise ahnte Samuel nichts von dem raschen Wechselbad der Gefühle, welches sich hinter seinem Rücken abspielte. Arglos kniete er vor dem Kleiderschrank und fluchte nun kaum vernehmbar, als er hastig in dessen Fächern herumkramte, aus denen Berge von Wäsche hervorquollen.

Riley wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über das Gesicht und räusperte sich leise. Er hatte die Befürchtung, dass seine Stimme nur ein unmelodisches Krächzen hervorbringen würde, wenn er jetzt etwas sagen musste.
»Ich denke, er hat die hier gemeint.« Samuel drehte sich zu ihm herum und hielt ihm triumphierend ein Paar schwarze Sicherheitsschuhe entgegen. Als Riley nicht reagierte, zuckte er entschuldigend mit den Schultern. »Sie gehören John, meinem Bruder.« Er lächelte schief. »Nicht gerade das schönste Modell, ich weiß. Doch du wirst sie zu schätzen wissen, sobald dir ein neunzig Kilogramm schwerer Holzbalken auf die Füße fällt.«
Wieder zeigte er ein Lächeln, diesmal strahlend und freundlich, aber Riley griff nach den Schuhen, ohne es zu erwidern.
Die überaus klobigen Halbstiefel waren wirklich nicht sehr ansehnlich, doch sie würden ihren Zweck erfüllen. Außerdem war er nicht hier, um die Laufbahn eines Models einzuschlagen. »Geht schon klar«, murmelte er dunkel. »Danke.« Er beugte sich nach vorn und zog die Schleifen seiner Schuhe auf.
Während Samuel ihn dabei beobachtete, entging Riley nicht, wie sich die Stimmung zwischen ihnen zu verändern begann. Verbissen beschloss er, dem keine Beachtung zu schenken. Er schlüpfte in die fremden Stiefel und schnürte sie zu. Dann stand er auf und streckte fragend seine Chucks in die Höhe. »Wo kann ich …«
»Unten.« Zögernd reichte Samuel ihm einen zweiten Helm und erhob sich ebenfalls. Mit einem Mal wirkte er verlegen.
Mann, sag jetzt nichts.
Ihre Blicke trafen sich.
Der Fick war gut, Buchanan.
Verstohlen schielte Riley zum Bett hinüber.
Fünfzehn Minuten … vielleicht zwanzig.
Er schüttelte den Kopf.
Nein.
Welchem Schwachsinn drohte er sich da hinzugeben? Er fuhr herum und wollte die Tür öffnen, als Samuel ihn unerwartet am Oberarm ergriff. Riley zuckte zusammen.
»Ri …«
Ein schauderhaftes blutgetränktes Röcheln drang aus den Tiefen seiner Erinnerung an die Oberfläche.
Nein … nicht.
Er kniff die Augen zusammen und ein kurzes Zittern schüttelte ihn.
Nicht hier.
Er packte Samuels Hand und streifte sie hastig von Nathanyels Jacke ab. Für einen Moment hatte er das verrückte Gefühl gehabt, als ob eine Art Dreier-Konstellation zwischen ihnen bestanden hatte. Er trat einen Schritt zurück und musterte Samuel verstört. Jegliche sexuelle Erregung war von jetzt auf gleich verschwunden.
Schweigend sahen sie einander an, während Samuel offenbar zu ergründen versuchte, was in ihm vorging. »Ich … fand es vorgestern eigentlich ganz schön.« Er schenkte Riley ein vorsichtiges Lächeln. »Du … nicht?«
Doch … und nicht nur der Sex war schön.
Da war mehr gewesen an jenem Morgen. Schuldbewusst senkte Riley den Kopf.
Und genau deswegen solltest du mich in Ruhe lassen, Namara.
»Hey, könnten wir nicht …« Samuel hob erneut die Hand, aber diesmal schlug Riley sie weg, noch ehe sie ihn berührt hatte.
»Nein, können wir nicht«, fauchte er unvermittelt heftig und bedachte ihn grimmig. »Ich mache es mit niemandem ein zweites Mal. Verstanden? Und selber ficken lasse ich mich nicht.«
Nie wieder.
Er drehte den Türknauf bis zum Anschlag, aber ehe er auf den Flur hinausstürzen konnte, hatte ihn Samuel am Ärmel gepackt und riss ihn in die Kammer zurück. »Hey! Sag mal, spinnst du? Das habe ich gar nicht gemeint!«
»Was hast du denn dann gemeint?«, zischte Riley. »Damit das klar ist: Es war ein Fick, mehr nicht!«
›Es ist nur Sex. Sex zwischen zwei Menschen.‹
Bedeutungslos.
Samuel starrte ihn an. Er hatte ihn verletzt. »Ich wollte dir nur sagen, dass du vorgestern nicht abhauen brauchtest. Ein paar Worte hätten mir genügt.«
Tatsächlich?
Riley blinzelte verwirrt. Was passierte hier gerade? »Dann bleibt es eine einmalige Sache zwischen uns?«, fragte er unsicher.
»Wenn du das willst?«
Wenn ich das nur wüsste.
Er biss sich auf die Lippen. »Ich denke, es ist besser«, murmelte er.
»Das wird sich zeigen.« Samuel lächelte. »Mir gefällt es jedenfalls, dass du hier bist. Also, auf gute Zusammenarbeit?« Versöhnlich hielt er ihm die Hand hin.
Riley ergriff sie. Sie fühlte sich warm an.
Angenehm.
»Okay.«
Samuel öffnete die Tür und nickte zum Treppenabsatz hinüber. »Wir sollten gehen, sonst schickt mein Onkel uns noch einen Suchtrupp auf den Hals.« Mit einem Zwinkern drehte er sich um und steuerte auf die Stufen zu.
Er hat es auch gespürt.
Ein ungläubiges Lächeln huschte über Rileys Gesicht. Dies war offensichtlich gewesen. Doch gleich darauf ereilte ihn Ernüchterung.
Vergiss es. Das würde nicht funktionieren. Und schon gar nicht hier.
Es war gut, dass sie die Dinge geklärt hatten, und eigentlich hätte er erleichtert sein müssen. Aber er war es nicht.

[Die Scherben seiner Seele Bd.2 | Datum der VÖ: 01. Dezember 2020]

© Text: Jayden V. Reeves
© Cover: Jayden V. Reeves | DGone; photocase | Rediroma Verlag;
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
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