Hunter B. Holmes – Mord unter dem Weihnachtsbaum | Wolf September
Leseprobe
›Hunter B. Holmes – Mord unter dem Weihnachtsbaum‹
Wolf September
Im traditionsreichen Londoner Kaufhaus Bradleys endet die große Weihnachtsfeier mit einem Skandal. Doch damit nicht genug: Am nächsten Morgen wird Tom Carter, der charmante Kaufhaus-Weihnachtsmann, tot in der festlich geschmückten Spielwarenabteilung aufgefunden – in einer Szenerie, die eher an ein Märchen als an ein Verbrechen erinnert.
Bei den Ermittlungen gerät Hunter gemeinsam mit seinem Partner David Cloverfield mitten in ein Geflecht aus Affären, verletzten Eitelkeiten, alten Schulden und einem Geheimnis, das besser nie ans Licht gekommen wäre. Jeder im Kaufhaus scheint etwas zu verbergen – und mindestens einer war bereit, dafür zu töten.
Die kalte Winterluft trug den Duft von gerösteten Maronen und Glühwein über den Platz vor dem nationalhistorischen Museum. Die beleuchtete Fassade des Gebäudes verlieh der Szenerie, zusammen mit den Lichterketten in den Bäumen rund um die Eislauffläche davor, einen magischen Anstrich. Im Zentrum der Fläche stand wie jedes Jahr ein imposanter Weihnachtsbaum, um den die Besucher ihre Bahnen zogen.
Hunter stand mit verschränkten Armen am Rand der Eisfläche, während neben ihm Steven begeistert auf die Läufer zeigte. Die Lichter in den Bäumen spiegelten sich glitzernd im Eis, und ein Pärchen zog Hand in Hand an ihnen vorbei. Ja, zugegeben, das Ambiente war schön, beinahe romantisch. Aber Hunter konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass diese glatte Fläche in erster Linie ein Ort für gebrochene Steißbeine und blamable Stürze war.
„Das ist eine schlechte Idee“, raunte er und musterte seine Füße.
„Ach komm schon. Das ist wie Rollschuhfahren. Du wirst sehen, ein kleines bisschen Übung und du schwebst förmlich über das Eis“, sagte Steven und hielt Hunter die gerade ausgeliehenen Schlittschuhe vor die Nase. „Vertrau mir. Das macht Spaß und irgendwie gehört es in London zu Weihnachten dazu.“
„Ich lebe schon sehr lange hier und bin immer gut ohne das da zurechtgekommen.“ Hunter deutete mit wenig Begeisterung auf die Eislaufbahn. Es widerstrebte ihm, sie zu betreten, auch wenn ihm längst klar war, dass Steven nicht lockerlassen würde. Er verfluchte sich innerlich, dass er vor ein paar Tagen Ja dazu gesagt hatte. Früher als Kind war er recht gut auf Rollschuhen gewesen – Kurven, Rückwärtsfahren, keine Herausforderung – damals. Das war verdammt lange her. Dazwischen lagen Jahrzehnte, in denen er bewusst den Abstand von allem mit Kufen oder Rollen gewahrt hatte.
„Wollen wir nicht lieber in einen gemütlichen Pub? Wir könnten Punsch trinken und vor einem heimeligen Kaminfeuer sitzen.“
„Hunter Benedict Holmes.“ Steven schlug den gleichen Tonfall an wie seine Mutter, bevor sich ein Grinsen auf seine Lippen schob. „Du vertraust mir doch, oder? Ich werde dich halten. Versprochen.“ Das Grinsen wurde breiter. „Und wenn du fällst, mein Schatz, dann falle ich mir dir und wir werden dabei mehr als elegant aussehen.“
Hunter schnaubte amüsiert. „Also gut. Aber wenn es keinen Spaß macht, dann gehen wir wieder …“
„Versprochen – in einen gemütlichen Pub und trinken Punsch vor einem elektrischen Kamin.“ Steven verdrehte lachend die Augen.
Vorsichtig trat Hunter mit seinen frisch geschnürten Schlittschuhen auf das Eis. Die rutschige Oberfläche ließ ihn kurz innehalten, bevor er Stevens ausgestreckte Hand nahm. Mit einem leichten Zug führte dieser ihn auf die glatte Bahn.
Hunters Schritte waren unsicher und kaum hatte er die ersten ruppigen Bewegungen gemacht, geriet er ins Wanken. Doch Steven war sofort zur Stelle, hielt ihn fest und brachte ihn wieder ins Gleichgewicht.
„Das macht keinen Spaß!“, rief Hunter und suchte mit wie Flügel ausgestreckten Armen nach Halt.
„Ach Blödsinn.“ Steven ließ ihn vorsichtig los und stellte sich mit einer Armlänge Abstand vor ihn. „Sieh her. Knie leicht beugen und das Gewicht ein bisschen nach vorn verlagern.“ Schon glitt er in geschmeidigen Bewegungen über das Eis, weg von Hunter. Er drehte eine kleine Runde um ihn herum und stoppte direkt vor ihm. „Jetzt du.“
„Also gut … Gewicht nach vorn“, murmelte Hunter und atmete tief durch, während er einen Fuß zögerlich nach vorn schob. Die Kufe kratzte über das Eis, er schwankte, doch er blieb aufrecht.
Überrascht hob er die Brauen. „Ha.“
Steven streckte ihm mit einem Lächeln die Hand entgegen. Hunter ergriff sie etwas fester als nötig. Gemeinsam glitten sie los oder zumindest bewegten sich in die richtige Richtung. Seine Schritte waren noch wackelig, aber Steven hielt ihn fest und gab ihm Sicherheit, während die funkelnden Lichter sich im Eis spiegelten und leise Weihnachtsmusik über die Fläche wehte.
Ein kleiner Junge in einem knallroten Weihnachtspulli mit Rentiermütze sauste an ihnen vorbei, die Arme ausgebreitet wie ein Flugzeug. Hunter zuckte zusammen und riss instinktiv die Schultern hoch, als der Windzug des vorbeiflitzenden Kindes ihn streifte.
Der Junge drehte sich im Weiterfahren einmal um die eigene Achse, lachte ausgelassen und schenkte Hunter dabei einen Blick, der irgendwo zwischen ‚Was für ein Anfänger‘ und ‚Hab dich nicht so, Opi‘ lag.
Hunter blinzelte ihm hinterher. „Ich wurde gerade von einem Sechsjährigen beleidigt – ohne Worte“, rief er Steven zu. „Wieso können kleine Kinder das so gut?“, fragte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte.
Steven lachte leise. „Sie haben keine Angst zu fallen. Das ist das Geheimnis.“ Er zog ihn etwas näher zu sich. „Und wenn sie fallen, stehen sie eben wieder auf und machen weiter.“
„Die Kleinen fallen auch nicht so weit runter“, erwiderte Hunter mit einem verbissenen Lachen, wobei er sich selbst eingestehen musste, dass es inzwischen besser funktionierte, als er geglaubt hatte. Schon hatten sie das erste Mal den Weihnachtsbaum umrundet. Er lockerte die Umklammerung und hielt Steven nur noch leicht an der Hand.
„Zeit für eine heiße Schokolade“, rief er, als sie die zweite Runde vollendet hatten.
„Wir haben gerade erst losgelegt!“ Steven sah skeptisch zu ihm herüber. „Okay. Wir machen einen Deal. Wenn du eine Runde ohne mich schaffst, gebe ich dir eine heiße Schokolade aus.“ Er hob den Zeigefinger. „Mit einer extra Portion Marshmallows.“
Hunter spürte einen Funken Zuversicht aufsteigen, dass diese Eskapade vielleicht doch schneller enden könnte als befürchtet. Entschlossen ließ er Stevens Hand los und glitt ein paar Yards allein übers Eis. Zu seiner Überraschung funktionierte es erstaunlich gut. Vor seinem inneren Auge erschien das Bild einer dampfenden Tasse heißer Schokolade, in die noch mehr cremiger Kakao floss. Der betörende Duft von süßer Schokolade schien ihm fast greifbar und für einen kurzen Moment schloss er die Augen, um sich diesem Gedanken ganz hinzugeben.
Doch diese Sekunde der Unaufmerksamkeit kam ihm teuer zu stehen: Der kleine Weihnachtself im Rentierpulli donnerte erneut knapp an ihm vorbei. Dieses Mal so nah, dass Hunter fast den Atem des Kindes spürte.
Instinktiv riss er die Arme hoch, ruderte panisch in der Luft wie ein unbeholfener Pinguin auf Glatteis und verlor endgültig den Kampf gegen die Schwerkraft. Mit einem dumpfen Wumm landete er auf seinem Hinterteil.
Für einen Moment sah er nur Sterne. Nicht die romantisch funkelnden Lichter über der Eisbahn, sondern schmerzhafte kleine Blitze vor seinen Augen. Noch ehe er richtig wusste, wie ihm geschehen war, hielt Steven neben ihm. „Hinfallen und wieder aufstehen. So wie wir es besprochen haben.“
„Du hast vergessen, den Schmerz zu erwähnen“, erwiderte Hunter und warf ihm einen gespielt düsteren Blick zu. „Hilf mir hoch, bevor hier noch jemand ein Foto macht.“
Steven reichte ihm die Hand und zog ihn mit einem kräftigen Ruck wieder auf die Füße. „Hoppla, da ist er wieder, mein tapferer Detektiv.“ Noch ehe Hunter protestieren konnte, drückte Steven ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen. „Weißt du was? Du bist gar nicht so schlecht. Komm mit …“
„Wohin?“, fragte Hunter, der sich noch etwas steif aufrichtete.
„Zeit für eine Schokolade.“
„Auf keinen Fall.“ Er stemmte die Hände in die Hüften. „Der Deal war eine Runde allein. Ich bin ein Holmes und ein Holmes steht zu seinem Wort.“
Steven lachte auf, sein Atem formte kleine Wölkchen in der kalten Luft. „Du klingst wie dein Vater.“
Hunter riss gespielt entrüstet den Mund auf. „Das hast du gerade nicht gesagt!“ Seine Augen funkelten herausfordernd. „Na warte … Dir zeig ich’s!“ Mit einem entschlossenen Tritt auf den Boden stieß er sich ab und wirbelte an Steven vorbei. Vielleicht nicht ganz elegant, aber mit überraschend viel Tempo. Sein Ehrgeiz war geweckt. Statt der einen Runde allein drehte er vier und spätestens ab Runde zwei hatte er, wider Erwarten, sogar richtig Spaß dabei. Die Lichter sausten an ihm vorbei, er fühlte sich wie in einer anderen Welt. Als er das vierte Mal um den Baum gefahren war, glitt er auf Steven zu und fiel ihm in die Arme.
„Jetzt sag mir bitte nicht, dass du Spaß hattest?“, fragte Steven und ein warmes Lächeln schob sich auf seine Lippen.
Hunter grinste zurück und hauchte einen Kuss auf seine Lippen. „Mit dir macht doch im Grunde alles Spaß. Und jetzt möchte ich bitte meine heiße Schokolade.“
Er schnaufte erleichtert durch, als er wieder in seinen normalen Schuhen steckte, auch wenn er zugeben musste, dass das Schlittschuhlaufen gar nicht so furchtbar gewesen war, wie er anfangs befürchtet hatte.
Doch jetzt fühlte es sich einfach zu gut an, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und eine warme Tasse in den Händen zu halten. Der süße Schokoladenduft stieg ihm in die Nase und hüllte ihn ein wie eine wärmende Decke.
„Und?“, fragte Steven. Er nippte an seiner Tasse. „So schlimm war es doch gar nicht, oder?“
Hunter spürte sein noch immer schmerzendes Hinterteil und fuhr sich mit der Hand darüber. „Es war okay“, meinte er. „Wie wäre es dann jetzt mit einem weitaus weniger gefährlichen Bummel? Covent Garden und Apple Market?“
Steven strahlte. „Das ist eine sehr gute Idee.“ Er hob seine Tasse, trank den letzten Schluck in einem Zug aus und rieb sich zufrieden die Hände. „Vielleicht finde ich dort noch ein bisschen Dekoration für unseren Weihnachtsbaum.“ Seine Stimme klang beinahe feierlich, als er das sagte, als wäre der Baum mehr als bloß ein Baum, sondern ein Stück zuhause.
Hunter sah ihn einen Moment lang an und lächelte leise. Dann hakte er sich bei ihm ein. „Dann los. Wer weiß, vielleicht wartet irgendwo schon ein funkelndes Schaukelpferd auf dich.“
[Hunter B. Holmes – Mord unterm Weihnachtsbaum
Datum der VÖ: 03. November 2025]
© Text: Wolf September
© Cover: Lilly Schwarz
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Unbezahlte Werbung.
