10. Oktober 2024

Dornenritter | Kaja Evert

Leseprobe

›Dornenritter‹
Kaja Evert

Klappentext:

Das Königreich versinkt in Dunkelheit. Steyn hat nur ein Ziel: Ritter des Lichts zu werden. Er will die Finsternis bekämpfen und das Rätsel um den Tod seines Vaters lösen.

Der Weg in den Orden führt über die Grenze der ewigen Nacht hinaus, wo Steyns erbitterter Rivale Gavin bald zu seinem einzigen Halt wird. Verzweifelte Kämpfe und schwere Verluste binden die beiden grundverschiedenen Männer aneinander. Doch während Steyn gegen die Düsternis in seiner Seele und seine widersprüchlichen Gefühle für Gavin kämpft, hütet der sein eigenes schreckliches Geheimnis, das die Loyalität der beiden zueinander auf die Probe stellt.

Nur langsam erkennt Steyn, dass die Ritter des Lichts nicht das sind, was sie zu sein scheinen – und dass sich die tiefste Dunkelheit dort ausbreitet, wo das hellste Licht strahlt.

© Kaja Evert

Das gelblich-rote Licht der Fackel wurde durch den Wasserstaub gebrochen wie durch Nebel. Es erhellte nur einen kleinen Abschnitt der Höhle und zeichnete Schattenmuster auf das scharfkantige Gestein. Obwohl das Licht nicht ausreichte, den Wasserfall zu sehen, hörte Steyn ihn nicht nur, sondern fühlte ihn als Beben unter den Füßen. Seit er die alte Frau in den Ruinen des Dorfes getötet hatte, fanden seine Gedanken keine Ruhe mehr. Er ließ sich ganz vom Dröhnen des hinabstürzenden Wassers durchdringen, bis es den Aufruhr in seinem Inneren übertönte.
Als sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte, zuckte er zusammen.
»Gavin, bei den Göttern!« Durch den Lärm des Wasserfalls hatte Steyn nicht bemerkt, wie er sich näherte. »Was macht Ihr hier?«
»Euch folgen, Rabensteyn«, erwiderte Gavin lakonisch. »Sichergehen, dass Ihr keinen Unsinn anstellt.«
»Ich wollte mich nur waschen.«
»Tut Euch keinen Zwang an.«
»Allein.«
Da sich Gavin nicht rührte, seufzte er gereizt und stieg das felsige Ufer zum See hinab. Trotz allem war er froh, Gavin bei sich zu haben. Nichts von allem, was geschehen war, hatte den Gerber erschüttern können. In seiner Nähe fühlte sich Steyn angespannt, unbehaglich, aufgewühlt – und sicher, soweit es die Umstände zuließen.
Der Atem stand ihm in Schlieren vor dem Gesicht. Ein Bad würde nicht gerade komfortabel werden. Zugleich aber sehnte er sich nach der reinigenden Kraft der Kälte. Gavin wartete hinter ihm, schweigend. Während Steyn ein Rüstungsteil nach dem anderen löste, zog der Kampf gegen die Dorfbewohner erneut an seinem inneren Auge vorbei.
»Gavin?«
»Hmm?«
»Haben sie sich überhaupt gewehrt? Als wir … angegriffen haben?«
Offenbar verstand Gavin sofort, wovon er sprach. »Wir waren zu schnell für sie. Und sie waren träge vom Übel.« Eine kurze Pause. »Ich habe gesehen, wie Ihr Euren Speer eingesetzt habt, um den Gegner stolpern zu lassen. Das war feige, Rabensteyn. Das nächste Mal solltet Ihr es selbst zu Ende bringen und nicht anderen die Drecksarbeit überlassen.«
»Das waren Menschen! Soviel wir wissen, traf sie keinerlei Schuld an ihrem Schicksal, aber jetzt sind sie tot. Wir haben sie getötet. Macht Euch das gar nichts aus?«
»Ich habe dergleichen schon gesehen.«
»Ach ja? Und wo?«
»Das ist lange her. Brock hat es gesagt: Ihr habt das Richtige getan. Zermartert Euch nicht das Hirn. Was geschehen ist, lässt sich nicht ändern. Ihr werdet Euch daran gewöhnen.«
»Ich werde nicht klug aus Euch, Gerber.« Steyn zerrte sich die Stiefel von den Füßen und warf sie neben die Teile seiner Rüstung. »Habt Ihr kein Mitgefühl? Ihr wollt doch Ritter des Lichts werden.«
»Ich folge dem Feuer«, sagte Gavin.

Unter seinem eindringlichen Blick schob Steyn unwillkürlich die Schultern hoch. Diese Augen – hell, wie der frostige Winterhimmel in seiner Kindheit gewesen war. Hatte er wirklich geglaubt, bei Gavin sicher zu sein? Nun fühlte er sich wie ausgeliefert. Eine beängstigende, ziehende Empfindung, die seinen gesamten Körper durchdrang und ihn schneller atmen ließ. Zugleich rührte der Blick etwas in ihm an, was er bislang nicht gekannt hatte. Eine Art Sehnsucht.
Doch dann zog sich Gavin ebenfalls aus und stieß sich von dem Felsvorsprung hinab, auf dem er stand. »Was soll’s. Ich hab ein Bad wahrscheinlich nötiger als Ihr.« Im nächsten Moment tauchte er unter.
Der See kam Steyn wärmer vor als die frostige Luft und der Dampf aus zerstobenen Tropfen, der die Höhle füllte. Er watete bis zu den Knien hinein und begann sich das Blut abzurubbeln, das durch seine Kleidung gedrungen war. Im flackernden Licht war seine Haut nicht nur schmutzig, sondern auch voller Schrammen und dunkler Blutergüsse. Er musste sie sich bei dem Kampf zugezogen haben und hatte es nicht bemerkt. Sorgfältig säuberte er die Wunde in der Hand. Dabei spürte er nur ein Stechen tief im Fleisch.
Während er sich wusch, vermied er es, einen Blick auf Gavins nackten Körper zu werfen. Nur einmal sah er seinen muskulösen Rücken, das Haar, das ihm offen über die Schultern hing. Nass wirkte es dunkler, fast schwarz. Es sprühte Tropfen, die langsam an seiner Haut hinabliefen. Rasch wandte er sich ab. Gavin dagegen kannte soviel Anstand nicht. Steyn fühlte, wie er ihn musterte. Und er hörte das spöttische Grinsen in seiner Stimme, als er sagte: »Ihr seid schön, Rabensteyn. Ein schöner Mann, nur etwas mager. Ein Jammer, das der Damenwelt vorzuenthalten. – Wie geht’s Eurer Hand?«
»Wann hört Ihr endlich damit auf?«, fragte Steyn verärgert. Doch Gavin blieb ihm die Antwort schuldig. Wieder tauchte er unter und schwamm mit kräftigen Zügen auf den schwarzen See hinaus.
Am Ufer säuberte Steyn seine Kleidung und die Rüstung, so gut es ging. Das kalte Wasser hatte ihm gutgetan. Er fühlte sich schon ruhiger. Der dunkle Streifen in seiner Hand hatte sich zurückgezogen, und in den Fingerspitzen kribbelte es leicht. Zähneklappernd kehrte er in die Kammer der Priesterin zurück, Gavin wie einen Schatten hinter sich. Brock und Jadna schliefen vor dem Feuer. Ylva hielt das Kind in den Armen und summte eine Melodie an der Grenze des Hörbaren. Sie blickte auf, als Steyn und Gavin eintraten, sagte aber nichts.
Steyn suchte sich einen Schlafplatz und wickelte sich in seinen gefütterten Umhang.
Was geschehen ist, lässt sich nicht ändern.
(…)
Was aber, wenn noch Schlimmeres geschieht, so unerträglich, dass ich damit nicht leben kann?
Nein, er durfte diese Zweifel nicht zulassen. Fragen und Zweifel sind dort draußen gefährlich, hatte Brock gesagt. Langsam erreichte Steyn die Wärme des Feuers. Die Anspannung der vergangenen Tage forderte ihren Tribut, und ihm fielen die Lider zu. Das Letzte, was er vor sich sah, bevor er in den Schlaf driftete, war das Bild von Gavin, wie er in die Dunkelheit hinausschwamm.

 

[Dornenritter | Datum der VÖ: 30. September 2021]

© Text: Kaja Evert | Cover: Jaqueline Kropmanns
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Unbezahlte Werbung.