27. Juli 2024

Die Welt verbessert | Joey Juschka

Leseprobe

›Die Welt verbessert‹
Joey Juschka

Klappentext:

So kann es nicht weitergehen: Die Straßen der Städte stinken nach Urin, für einen Toilettenbesuch muss man 50 Cent hinblättern, Tampons wechseln kann man auch nirgends so richtig, und sowieso: als Frau* allein unterwegs zu sein ist gefährlich. Die Klimakrise ist auch noch nicht gelöst, kaum eine*r zeigt Zivilcourage …
Das nervt, sagt Joey Juschka, schreibt und verbessert die Welt.
Und dann gibt es sie, die Gesetze, die es wirklich mal bräuchte für eine bessere Welt, in literarischer Form zumindest: eine Welt ohne zu Hause im Alleingang putzende Frauen, eine Welt ohne Lohngefälle zwischen er-sie, eine Welt ohne Drei-Sitze-in-der-U-Bahn-Beleger, dafür dann lesbisch-eifersüchtige-polyamore Tellerwerferinnen, ex-schwangere trans Männer auf der Demo für (oder gegen?) bessere Abtreibungsgesetze, Tunten & Drag Queens mit neuem Tageszeitjob als Highheel-Profis im Shoppingcenter, Drag Kings als Straßen-Pinkler-Nachahmer, eine zarte (natürlich heiße!) Geschichte rund um die heißen Temperaturen der Welt, eine Autorin mit vehementer Schwierigkeit, prickelnde Dildo-Erotik zu schreiben … kurz: eine neue, queere und vor allem bessere Welt, als sie aktuell eben so ist.

© Joey Juschka

Das Problem:
Die Breitbeinigsitzer: In Bus und Bahn belegen manche Leute gleich drei Sitze auf einmal.

Die Lösung:
Es lebe Berlin
„Whoa, da sitzen sechzig Euro!“ Uwe Banitzki ergriff meinen Arm. Er war aufgeregt. „Da-da drüben!“, stotterte er.
Uwe Banitzki fing an zu stottern, wenn er an Geld dachte, und Uwe Banitzki war ständig pleite. Soviel wusste ich schon, auch wenn wir erst seit heute morgen zusammenarbeiteten.
„Komm!“, drängte er.
Ich mag mich eigentlich nicht drängen lassen, aber Banitzki hatte ja Recht: Sechzig Euro waren nicht zu verachten, auch wenn mich selbst eher etwas anderes an diesem Job interessierte.
„Sechzig Euro!“, sagte Banitzki noch mal und hob schon den Arm, um mit den Fingern zu deuten, überlegte es sich dann aber doch anders. So ein Fingerdeuten-Armheben war viel zu auffällig. Stattdessen drehte er den Kopf und wies mit dem Kinn.
Ich schaute und sah es auch gleich: In der U2 Richtung Pankow, ausgebreitet über die Bank gleich neben der hinteren Tür, saßen wirklich sechzig Euro. Sechzig gut aussehende Euro, muss ich mal sagen.
„Jetzt komm schon, Jürgen!“, rief Banitzki. Er zog mich am Arm.
Wir rannten los, quer über den Bahnsteig, gerade noch rechtzeitig in die sich schließende Tür. Als die Bahn anfuhr, lächelte Banitzki. Jetzt gab es kein Entkommen mehr; die sechzig Euro waren uns sicher.
Ich lächelte ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen. Der Schwarzfahrer sah wirklich gut aus: Seine Schultern waren so breit, wie ich es mochte; er trug ein Netz-Shirt und durch den Stoff hindurch konnte ich auch seine Brustmuskeln sehen. Seine Hüften dagegen waren eher schmal, und wie, um dafür zu kompensieren, hatte er die Beine so weit geöffnet, dass er zwei ganze Sitze belegte, fast sogar drei.
Ich ließ mich auf der Bank ihm gegenüber nieder, zückte die Kamera.
Banitzki unterdessen baute sich neben ihm auf.
„De-den Fahrschein!“, sagte er und versuchte, nicht allzu arg zu stottern und größer auszusehen, als er eigentlich war. Es gelang ihm nicht sehr gut. Er räusperte sich, wiederholte: „Den Fahrschein!“, diesmal schon etwas fordernder.
Doch der junge Mann beachtete ihn immer noch nicht.
„Was machst’n da für’n Bild?“, wollte er vielmehr von mir wissen. Er grinste mich an. „Von mir?“

Ich grinste zurück. Ich mag junge, sportliche Männer, besonders solche mit eng geschnittenen Hosen, die den Schritt extra betonten. Und die Beule in seiner Hose war extra betont; ich zoomte mich rein.
Meist konnte ich Geschlechtsteile nicht einfach so offen abfotografieren, und meist waren die breitbeinig sitzenden Männer in der U-Bahn nicht schwul.
Das hier war anders. Das hier war klasse.
Mein Gegenüber spreizte die Beine noch etwas mehr.
Ich stöhnte vor Wonne und knipste los.
„Den Fahrschein!“, fuhr Banitzki plötzlich dazwischen. Auf einmal sprach er ganz laut.
Ach, Banitzki. Der musste noch so einiges lernen. Ich atmete aus, enttäuscht. Der spannendste Teil meines Jobs war vorbei.
Mein Gegenüber schaute auf, Banitzki an. „Ich hab ‘nen Fahrschein. Hier.“ Er hielt ein Tagesticket hoch.
„Gilt nicht“, sagte Banitzki kurz angebunden.
„Klar gilt das. Ist von heute.“
„Ja, ist von heute“, stimmte Banitzki ihm zu. „Gilt aber trotzdem nicht.“
Der Junge verstand nicht, worum es ging. „Was?“, fragte er. „Also-“
„Neue Beförderungsbedingungen“, sagte Banitzki zu ihm, und zu mir: „Foto?“
Ich nickte. Fotos hatte ich einige gemacht.
„Gehört ihr etwa zusammen?“ Mein Gegenüber schaute mich an, enttäuscht, wie mir schien.
Ich nickte wieder, ganz langsam, senkte den Kopf.
„Seit wann macht ihr denn Fotos?“
Ich sagte nichts, zuckte nur leicht mit den Schultern und wies auf Banitzki.
Der war bereit. „Sie müssen zwei Fahrscheine lösen, wenn Sie so sitzen, wie Sie jetzt sitzen“, sagte er und schaute dem Jungen dabei gezielt auf den Schritt. Da war ich mir sicher. Ach, Banitzki.
„Häh?“
„Sie belegen zwei Sitze, sehen Sie doch!“
Eigentlich belegte er drei. Sehr weit geöffnete Beine, eindeutig betonte Beule. Ich lächelte in mich hinein, hielt die Kamera fest an mich gedrückt. Alles gespeichert hier drin. Mein Schatz.
Banitzki schluckte, sah abrupt weg.
„Zwei Sitze!“, sagte er dann noch mal. „Zwei Sitze: zwei Fahrscheine. Neue Bedingung, eine Ergänzung von Paragraph elf. Das ist der mit den Fahrrädern.“
Er bekam keine Antwort.
„Pro Fahrschein ein Sitz. Und wer zwei Sitze belegt …“
Der Junge fing an, sich im Abteil umzusehen, ob ihm jemand half mit uns zwei Verrückten hier. Fast tat er mir leid.
(…)

Noch mehr Infos zum Buch gibt es hier.

[Die Welt verbessert
Datum der VÖ: 08. August 2023]

© Text & Cover: Joey Juschka
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
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