Der Musen Elixier

Leseprobe

›Der Musen Elixier‹
Sabine Küster

Klappentext:

Der Musen Elixier ist Episoden-Roman & Biografisches Arbeitsbuch.

Das Treffen der neun griechischen Musen im heutigen Berlin gibt im ersten Teil des Buches den Auftakt für surreale Reiseerlebnisse durch Raum und Zeit. Dank eines geheimnisvollen Elixiers trifft die Protagonistin des Buches unter anderem auf die isländische Sängerin Björk, die mexikanische Malerin Frida Kahlo, die eigenen Urahninnen und diverse Wunderwesen. Sie lernt zu fliegen, übers Wasser zu wandeln und empfängt die Lösung für universale Probleme. Im zweiten Teil des Buches können die Leser*innen selbst ins Musenland reisen und ihr eigenes Leben dabei aus ungewohnter Perspektive betrachten und gestalten.

Sabine Küster wurde 1967 in Lauterbach (Hessen) geboren und lebt heute als Künstlerin und Autorin in Berlin.  Sie ist Gründerin und Gestalterin der MUSENLAND Akademie für Biografisches & Kunst. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der performativen Erforschung von Biografien weiblicher/queerer Künstler*innen.

© Sabine Küster

Rhythmisch wirft sie ihren Stab in die Luft, fängt ihn wieder auf, wirft ihn immer höher und rezitiert dabei in einer mir unverständlichen Sprache.
Sie beginnt zu tanzen. Langsame fließende Bewegungen rund um das Feuer herum. Ein Trancetanz oder ein Beschwörungsritual. Ich folge ihr mit den Augen und spüre ein immer stärker werdendes Kribbeln in der Bauchgegend. In diesem Moment kann ich auch wahrnehmen, wie sie sich auf mich fokussiert und einen direkten nonverbalen Kontakt herstellt und mir eine Botschaft sendet

GEIST TRANSFORMIERT WIRKLICHKEIT

Bevor mein kritischer Geist Irritation oder Protest produzieren kann, bahnt sich ein starkes Begehren den Weg. Mein Körper geht in Spannung, beginnt sich auszudehnen, wird geschmeidig. Ich sehe leuchtendes Fell an meinem Körper wachsen und finde mich schnell auf allen Vieren wieder.
Mein eigener Kopf sitzt nun auf einem orangefarbenen Pantherkörper und meine Beute heißt Leben.
Langsam streiche ich ums Feuer, genieße meinen straffen, pulsierenden Körper, spüre meine Kraft und erahne das Potential der neuen Möglichkeiten.
Ich werde auf einen Kraken aufmerksam, suche den spielerischen Tanz mit ihr.
Mit ihr? Woher kann ich wissen, dass sie eine sie ist? Und was soll das denn hier schon bedeuten?
Wir kreisen umeinander, spielen mit Nähe und Distanz.
Langsam steigern wir das Tempo und die Intensität, unser Radius vergrößert sich, die Bewegungen werden raumgreifender. Dann springe ich auf sie zu und sie pflückt mich noch im Sprung mit einem ihrer hundert Arme aus der Luft.
(…)
Heiße Quellen, sie leuchten in ungewöhnlichen Farben, für die ich gar keine Worte kenne.
Und sie duften nach etwas, was mich wie die Farben selbst glücklich macht. Glücklich von
tief drinnen. Urgefühle. Urglückseligkeit.
Ich drifte ab und bin in Kontakt mit Allem, was mal war, ist und sein wird.
Fließendes Sein. Kosmische Erkenntnis. Göttliche Einsicht. Das also ist das berühmte ommm.
Wie ruhig der Geist ist, nichts meckert und zerrt, nichts will analysiert oder strukturiert werden.
Der Körper ist ganz in seinem Element und ich bin es damit auch.
Ein Räuspern in der Nähe lässt mich erschreckt die Augen wieder öffnen.
Ich schreie laut auf. Direkt vor mir baumelt kopfüber eine Frau und grinst mich an.
Sie baumelt kopfüber im Nichts. Da ist kein Seil und auch nichts, woran ein Seil befestigt sein könnte.

Sie steht einfach kopfüber in der Luft, direkt vor mir!
Vorbei mit der inneren Ruhe und Gelassenheit.
» Wer ist sie, was will sie von mir«, schießt es mir durch den Kopf.
»Ich will nichts von Dir? Alles ist gut. Wollte nur Hallo sagen«, zwitschert sie mir entgegen.
Sie dreht sich bei ihren Worten auf Normalstand. Sie schwebt zwar immer noch, aber jetzt mit dem Kopf nach oben. Und das hilft mir schon dabei, sie zu erkennen.
Es ist die isländische Sängerin Björk in einem ihrer farbenfrohen Fantasiegewändern aus Samt, Glitzer und Federn.
»Hallo Björk, Du bist doch Björk. Sind wir hier in Island?«, stottere ich ihr unbeholfen entgegen.
(…)
Meine Liebste hatte das bisher Gehörte für sich allerdings sehr klar eingeordnet und es mir auch gerade noch einmal kundgetan: »Du hast mal wieder eine Deiner schrägen Projektideen. Ist doch schön. Schreib es erstmal auf und schau dann weiter…«
(…)
Wir wussten nicht, ob es funktionieren würde. Aber wir waren fest entschlossen und unglaublich aufgeregt. Mein Plan hatte immer klarere Züge angenommen und als ich Ulrike davon erzählte, war es wie eine schon längst gemeinsam beschlossene Sache.
Wir waren bereits Teil dieser Geschichte und wir würden es wagen für immer ins Musenland zu übersiedeln, so es uns gelänge.
Nun gab es aber nur eine große Phiole und die Untersuchung des Inhaltes der bisherigen Fläschchen hatte uns ja auch nicht weitergebracht. Somit blieb nur die gleichermaßen naheliegende wie unglaubliche Idee, das Elixier so zu strecken, dass es für uns Beide reichte.
Wir übten mit verschiedenen anderen Flüssigkeiten und Gefäßformen und produzierten unzählige bekleckerte Textilien.
Nah einander gegenübersitzend, jede eines der Fläschchen in der linken Hand,
Zungenkusspositionierung, war dann am Ende die vielversprechendste Variante, um
vorsichtig die Flüssigkeit in uns zu verteilen.
Den Gedanken an die Gefahr, dass es nur eine von uns ins Musenland schaffen würde und
die andere für immer zurückblieb, verdrängten wir Beide so gut es ging.
Und jede von uns betete heimlich auf ihre Art zu den Göttinnen, zu den Musen, dem
Kosmos, zu Mutter Maria, zu den Hausheiligen aller Art.

Die ersten Wochen im Musenland sind uns Beiden komplett entfallen. Wir erinnern uns weder an die Ankunft und auch nicht an unsere ersten Schritte dort.
Ab und an denken wir darüber nach, verweilen in diesen kurzen Momenten der Irritation und leben ansonsten in der vertieften Gewissheit: wir sind hier am richtigen Ort.

[Der Musen Elixier | Datum der VÖ:  2021]

© Text und Cover: Sabine Küster;
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Unbezahlte Werbung.