11 Liebesgeschichten mit Musikbegleitung | Leonid Matthias
Leseprobe
›11 Liebesgeschichten mit Musikbegleitung‹
Leonid Matthias
Leonid ist eigentlich ein Modedesigner und wollte nie ein Buch schreiben, das kam einfach so. Als er auf dem Chopin Festival in Tschechien war, kam ein Stück von Haydn, welches ihm überhaupt nicht gefiel. Er saß im Publikum, langweilte sich, als er plötzlich eine Geschichte im Kopf hatte.
In „11 Liebesgeschichten mit Musikbegleitung“ dreht sich alles um zwei gewaltige Kräfte: Liebe und Musik. Obwohl es in diesem Buch fast ausschließlich um Männerliebe geht, wird beim Lesen schnell klar, dass Liebe absolut universell ist, so wie auch die Musik.
Zusätzlich zur Musikliste am Anfang des Buches ist jede Geschichte mit einem QR-Code versehen, der direkt zum entsprechenden Musikstück führt, um die Stimmung der Erzählung zu verdeutlichen.
Manchmal lustig, manchmal traurig, manchmal skurril – bringen die Kurzgeschichten den Leser zum Nachdenken und zeigen auf eine erfrischende Art und Weise auf, wie stark und gleichzeitig fragil die Sehnsucht nach Zweisamkeit ist.
I
Manchmal bedarf es keiner Worte, denn Worte würden alles endgültig kaputt machen.
Manchmal bedarf es keiner Worte, weil alles bereits gesagt ist.
Manchmal bedarf es keiner Worte, weil man die richtigen nicht hat, und die, die man hat, falsch wären.
Manchmal bedarf es keiner Worte, weil man Musik hat!
Laut und leise, triumphierend und nachdenklich – es gibt nichts, was mit der Musik noch nicht gesagt wurde. Man muss nur ein für sich passendes Stück finden und gut zuhören.
Manchmal wird man davon getragen, manchmal übertönt die Musik die Tränen, manchmal gibt sie eine lang gesuchte Antwort und manchmal überschwemmt sie Dich, verschluckt Dich mit Ihrer ganzen Gewalt. Genau dann wird es Dir klar, wie unwichtig Deine Sorgen sind, wie nichtig Deine Probleme!
Das passiert aber viel zu selten.
Aber wenn es passiert, erfährst Du wie es sein kann. Und dann wirst Du immer von Deiner Musik begleitet, sie wird zu Deinem Freund und Du wirst nie wieder allein sein.
II
Ich habe ihn wieder in der Stadt gesehen, den großen, rothaarigen Mann. Beim ersten Mal fand ich ihn recht unattraktiv, bereits drei Monate später war ich in ihn verknallt. Ich hatte noch nie was mit einem Rotschopf.
Er stand immer abseits an der Bahnhaltestelle, immer tief in Gedanken und lauschte der Musik aus den kleinen Kopfhörern.
Hat er schon seine Musik gefunden, war er noch auf der Suche danach, wusste er überhaupt von ihrer Existenz?
Er kam mir stets etwas traurig vor, vielleicht war das aber meine Traurigkeit, die sich in seinen Augen gespiegelt hat.
Mich hat er nie gesehen. Es schien mir, dass er rein gar nichts um sich herum bemerkte.
So beschloss ich eines Abends, hinter ihm her zu laufen. Es war noch hell draußen, um so mehr versuchte ich, unbemerkt zu bleiben.
Er lief langsam, in seine Gedanken und Musik vertieft und plötzlich wurde mir klar, dass das, was ich machte, falsch war.
Hatte ich überhaupt das Recht, in sein Leben reinzuplatzen, seine Verbindung zur Musik zu unterbrechen?
Ich drehte mich um und lief zurück.
III
Ich glaube, es gibt nichts, was ich noch mehr hasse als Umzüge. Dennoch bin ich schon viel zu oft umgezogen. So hoffte ich, dass der dreizehnte Umzug mein letzter wäre.
Frankfurt, es sollte wieder nach Frankfurt gehen, bereits zum vierten Mal.
Diesmal hatte ich ein Umzugsunternehmen gefunden, das wirklich alles für mich erledigte. So hatte ich genug Zeit, durch die Straßen zu schlendern, in meinem Lieblingscafé Kaffee zu trinken, den Freunden “Tschüss” zu sagen – mich von der Stadt zu verabschieden.
Ich habe hier vier Jahre verbracht, gezwungenermaßen, aber in Frankfurt hat Anna gelebt und vielleicht, wer weiß, auch mein Mr. Right.
Dennoch war ich traurig, ich mochte noch nie Abschiede. Ich lief durch die Innenstadt, hörte dabei Musik und erinnerte mich an all die Sachen, gute und nicht gute, die mir hier widerfahren waren.
Aber trotz allem war ich hier glücklich, also bedankte ich mich bei den Gassen, meinen Lieblingsbänken, dem Fluss und allem um mich herum.
“Neue Stadt – neues Glück”, sagte ich zu mir, wobei Frankfurt gar nicht neu für mich war.
Jedoch erhoffte ich mir, dort mein Glück endlich zu finden.
Ich hatte bereits Arbeit in Frankfurt gefunden.
Eine tolle Wohnung hatte ich auch schon.
Auch meine beste Freundin lebte dort.
Nur eine Sache fehlte noch. Na ja, wer weiß, vielleicht nicht mehr lange!
IV
Frankfurt empfing mich mit einem kühlen Herbstregen und mit Gold geschmückten Bäumen. Ich stand zwischen den Gleisen, neben mir mein großer Rimowa und schaute zum Himmel.
Ich bildete mir ein, dass der Regen eine Art Taufe sei, die meine Sorgen wegspült und mich im neuen Leben willkommen heißt. Und als ob die Reisenden dieses Ritual kannten, liefen alle um mich herum, ohne mich zu schubsen, zu stoßen, oder sich über mich zu ärgern.
“Ist das schwer? Soll ich Dir helfen?”, jemand griff nach meinem Rimowa und unterbrach meine Zeremonie.
Der rothaarige Mann aus meinem alten Leben stand genau vor mir.
Ich versuchte, meine Überraschung zu verbergen.
“Ja, danke, aber ich wohne relativ weit vom Bahnhof. Lieferst Du bis zur Bordkante?”
“Normalerweise schon, aber manchmal auch darüber hinaus!”, er lachte.
Eigentlich sollte ich von Anna abgeholt werden, jedoch beschloss ich, mit der Bahn nach Hause zu fahren. Ich brauchte Zeit, um ungestört möglichst viel von dem rothaarigen Unbekannten zu erfahren.
Ich schickte Anna eine kurze Nachricht und stieg in das neue Leben ein.
“Was machst Du in Frankfurt?”, fragte ich Felix.
“Bin umgezogen, neuer Job, kenne hier aber keinen. War heilfroh, als ich Dich plötzlich am Bahnhof gesehen hab!”
Die Straßenbahn war halb leer, wir saßen einander gegenüber am Fenster und draußen wechselten die Kulissen in der Fahrgeschwindigkeit.
“Äh, kennst Du mich?”, jetzt war ich etwas perplex.
“Na, klar, Du mich ja auch! Etwa vergessen, wie Du mir mal abends gefolgt bist?” Jetzt wurde es unangenehm und mir fiel gar nichts dazu ein.
“Warum hast Du denn damals Deine Verfolgung abgebrochen?”, fragte er frech und grinste.
“Gott, wie peinlich!”, murmelte ich. “Es tut mir leid! Das war keine gute Idee… Wollte nicht in Dein Leben reinplatzen…”
“Wie ich jetzt in Deines reinplatze?”, er schaute mir direkt in die Augen.
“Willkommen in mein Leben!”, erwiderte ich seinen Blick.
“Ich danke Dir “, sagte er leise.
“Warum hast Du stets so getan, als ob Du mich nie sehen würdest?”- bei solchen Sachen war ich schon immer direkt.
“Ich war nicht bereit für was Neues, und One-Night-Stand mit Dir wäre mir definitiv zu wenig.”
“Wärst Du denn jetzt bereit für etwas Neues?”, jetzt schaute ich ihm direkt in die Augen.
“Definitiv!”
“Wo wohnst Du denn?”
“Erst in einem Hotel, die Firma zahlt die Kosten, bis ich eine Wohnung finde.”
“Ginge es zu schnell, wenn ich Dir anbieten würde, erst mal bei mir einzuziehen? So ein paar Tage?”
“Das wäre wunderbar!”, er konnte seine Freude kaum verstecken.
“Na dann hoffe ich, dass Du kein Problem mit gemeinsamer Dusche und Küche hast!”, scherzte ich mit einer ernsten Stimme.
“Wieviel Leute wohnen denn in Deiner WG?”
“Lass Dich überraschen”, sagte ich.
V
Meine neue Wohnung war etwas größer, als die bisherige, sie war von mir von Anfang an für zwei Leute konzipiert. Ich fragte mich, ob Felix sich darin wohl fühlen würde und wie lang er überhaupt bliebe. In meiner Wohnung und in meinem Leben.
Er hatte kein Problem mit gemeinsamen Räumen, im Gegenteil! Wir verbrachten recht viel Zeit zusammen in der Küche und unter der Dusche.
Wir haben uns auch vier mal getrennt und sind auch vier mal danach wieder zusammen gekommen.
Das war die Musik, die mir nach jeder Trennung vier Mal geholfen hat, auf den Beinen stehen zu bleiben. Ich stürzte mich in sie, wie der Gläubige ins Gebet.
Ich datete auch andere Männer und jedes Mal hoffte ich, dass diesmal der Richtige dabei wäre. Und jedes Date brachte mich näher zu Felix. Er war der einzig Richtige für mich…
Ihm ging es genauso.
Unsere längste Trennung, die letzte, dauerte drei Jahre.
Eines Tages schickte ich ihm eine kunstvolle Postkarte, die ich mal in einem Museum gekauft habe, mit zwei Zeilen aus Zwetajewa, die ich für ihn übersetzt habe: “Verzeih, denn bei vielen anderen denkend, das wärst Du, war nicht treu…”
[11 Liebesgeschichten mit Musikbegleitung
Datum der VÖ: 25. Januar 2024]
© Text & Cover: Leonid Matthias
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Unbezahlte Werbung.