Plastikefeu hält sich gut | Tristan Lánstad

Leseprobe

›Plastikefeu hält sich gut‹
Tristan Lánstad

Klappentext:

Masken, Schnelltests, Abstand
Kevin „Kay“ Holzmanns Job als Personenschützer ist durch die Corona-Pandemie nicht gerade einfacher geworden. Dass ausgerechnet der lokal bekannte Virologe Marian Engel ihn anheuern will, erscheint Kay zunächst wie ein absoluter Glückstreffer. Der mutmaßliche Stalker, der Engel verfolgt, scheint mehr ein Ärgernis als eine akute Bedrohung zu sein. Ein einfacher Job, reichliche Bezahlung – was könnte Kay mehr wollen?

Wäre da nicht die Sympathie, die sich zwischen den zwei Männern entwickelt und ihre berufliche Beziehung in Gefahr bringt. Bald schon fällt es Kay schwer, seine Gefühle für Marian zu verbergen. Aber wie soll er mit ihnen umgehen, wenn sich Marians Verfolger als weniger harmlos herausstellen, als sie beide angenommen haben…?

© Tristan Lánstad

Sie sind also aktuell das Ziel von Vandalismus und Drohbriefen“, fasste Kay zusammen und legte die Dokumente zurück auf den Schreibtisch. „Haben Sie die Polizei eingeschaltet?“
Engel nickte unbehaglich. „Ja, zum ersten Mal. Ich meine, die letzten Jahre habe ich immer wieder Briefe bekommen und das nicht so ernst genommen. Das bringt mein Job mit sich. Aber die neusten waren mir zu … konkret. Also habe ich Anzeige erstattet.“
Kay kannte den abfallenden Ton der Enttäuschung in seiner Stimme. „Ich nehme an, außer Formalitäten ist nichts weiter passiert?“
„Offiziell laufen die Ermittlungen, aber mein Eindruck ist, dass sie es als Lappalie abtun. Ich bezweifle, dass mein Problem bei denen gut aufgehoben ist.“
Irgendetwas sagte Kay, dass das nicht von ungefähr kam. „Sie würden die Polizei also zukünftig gern aus der Sache heraushalten?“, fragte er rundheraus.
Engel zögerte mit seiner Antwort. „Ja, das wäre mir lieber“, gab er schließlich zu.
Kay nickte und hoffte, dass man ihm sein beruhigendes Lächeln auch mit Maske ansah.
„Keine Sorge, da sind sie kein Einzelfall. Genau deshalb wendet sich der Großteil meiner Kundschaft an mich“, sagte er. „Wenn es zu einem strafrechtlich relevanten Zwischenfall kommt, müssen wir natürlich den offiziellen Weg gehen, aber sonst nicht.“
Engel nickte, und er schien sich zu entspannen.
Sehr schlechte Erfahrungen mit der Polizei also, notierte sich Kay, diesmal allerdings nur gedanklich. Laut sagte er: „Jedenfalls verstehe ich, dass Sie die Sache inzwischen ernster nehmen. Wie lange bekommen Sie die Briefe schon? Seit der Welle 20-1?“ Er warf einen Blick auf seine vorbereiteten Notizen. „Öffentlichkeitswirksam arbeiten Sie, soweit ich weiß, erst seit 21-3, oder?“
„Sie sind gut informiert!“, sagte Engel. „Richtig, im Fernsehen bin ich erst später aufgetaucht. Vorher war ich beratend tätig, vor allem für die Stadt. Eigentlich hatte ich schon seit der ersten Welle von COVID-19 immer wieder mal so ein Traktat im Briefkasten. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber mir erschien es … na ja, harmlos. Albern. Ich meine, einmal hat sich jemand die Mühe gemacht, mich und die ehemalige Kanzlerin über Fotomanipulation in ein Doppelbett zu verfrachten!“
„Wusste gar nicht, dass Sie ihr so nahe stehen“, witzelte Kay, und Engel grinste unter seiner Maske.
„Unser kleines Geheimnis. Wussten Sie, dass die Raute mit den Händen ein geheimes 5G-Chemtrails-Signal an Bill Gates sendet?“
Kay grinste zurück und war versucht, etwas Witziges zu antworten, doch dann riss er sich zusammen. Er war ja nicht zum Plaudern hier.
„Gab es einen bestimmten Zeitpunkt, ab dem die Situation eskaliert ist?“, fragte er stattdessen. „Sonst noch irgendwas, an das Sie sich erinnern? Einfach ganz ungefiltert.“
Engel führte die Hand zum Gesicht, wollte sie nachdenklich ans Kinn legen, bevor er schuldbewusst zurückzuckte. Anscheinend hatte selbst er Probleme mit alten Gewohnheiten. Stattdessen griff er nach einem Fidgetwürfel, der auf dem Schreibtisch lag.
„Dass es so richtig an Fahrt aufnahm, muss etwa zwei oder drei Wochen her sein“, erzählte er, während er den Würfel in der Hand drehte. Die vielgestaltigen Oberflächen schienen eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben. „Zuerst wurde der Briefkasten demoliert, ein paar Tage danach war die Sache mit der Tür. Einiges kann ich aber auch nicht einordnen. Ich bekam seltsame Anrufe, und zwischendurch brach immer wieder meine Internetleitung für ein paar Stunden zusammen. Letzteres könnte allerdings auch mein, gelinde gesagt, beschissener Provider sein. Ein paarmal nachts meinte ich, jemand vor meiner Tür zu hören, aber meine Nachbar*innen kommen und gehen ja, wie es ihnen gefällt.“ Er zögerte, legte den Würfel beiseite und strich sich stattdessen nachdenklich durchs Haar, seufzte dann frustriert. „Mehr fällt mir nicht ein. Ich hätte wohl ein Protokoll anfertigen sollen, damit ich etwas Konkretes in der Hand habe.“
„Ich verstehe, warum Sie es nicht getan haben“, sagte Kay beschwichtigend und schmunzelte heimlich darüber, dass Engels Locken jetzt noch wilder aussahen als zuvor. „Man geht nicht automatisch vom Schlimmsten aus.“

„Kann sein“, erwiderte Engel, wenig überzeugt. „Aber ich glaube, ich wollte mir auch nicht eingestehen, dass es etwas Ernstes sein könnte, bis ich diese neusten Briefe bekam. Es waren einfach zu viele Details, wie und wo und wann sie mich abfangen wollten, bis zu der Uhrzeit, zu der ich normalerweise das Haus verlasse. Ganz aus war es für mich, als letzten Freitag nachts jemand an meiner Tür rüttelte und irgendetwas brüllte. Als die Polizei auftauchte, war natürlich niemand mehr zu finden.“
„Könnte sich jemand Informationen über Sie aus einer leicht zugänglichen Quelle beschafft haben?“, fragte Kay. „Ein E-Mail-Konto mit den entsprechenden Kalendereinträgen kann gehackt werden, und ihr Institut gibt sicher Pressetermine heraus, zu denen Sie anwesend sind. Ihre Wohnadresse findet man über das Einwohnermeldeamt. Darauf basierend kann man sich gut ausrechnen, wann und wo man Sie antreffen kann.“
Engel schüttelte energisch den Kopf. „Bei der Adresse haben Sie vielleicht recht, aber die Termine stammten direkt aus meinem privaten Kalender, und der ist so analog, wie es nur geht.“ Er deutete auf ein kleines, etwas zerfleddertes Notizbuch, das auf seinem Schreibtisch lag. „Und selbst wenn sie den in die Finger bekommen hätten: Woher kannten sie den Weg, den ich nehmen würde?“
Kay nickte und kritzelte eine nachdenkliche Spirale um seine letzten Notizen. Das alles ließ nur einen Schluss zu.
„Haben Sie in Erwägung gezogen, dass Sie jemand stalken könnte?“
Engel seufzte. „Ich habe es befürchtet. Aber mir ist niemand aufgefallen, wenn Sie das meinen.“
„Das heißt, direkt wurden Sie nicht angegriffen? Oder mit Waffen bedroht?“
Die Frage schien Engel deutlich zu beunruhigen. „Zum Glück nicht. Denken Sie, dass das möglich wäre?“
„Nein, nein, das wollte ich damit nicht sagen“, antwortete Kay schnell. „Ich wollte es nur ausschließen. Wenn jemand vorhätte, ein Attentat mit tödlichem Ausgang auf Sie zu verüben, müssten wir ganz neu überlegen. Für solche Bedrohungen bin ich nicht ausgerüstet und bringe die Zeit nicht auf. In dem Fall hätte ich Ihnen eine lokale Firma empfohlen. Aber bisher sieht es mir eher danach aus, dass man Sie einschüchtern will und dass Sie gestalkt werden. Das Gute ist: Solche Menschen drohen gern, aber sie machen meist nur Ernst, wenn ihr Opfer allein und hilflos ist. Personenschutz erschwert das deutlich. Was denken Sie: Wie oft werden Sie mich brauchen?“
„Das Institut, in dem ich arbeite, hat einen Sicherheitsdienst unter Vertrag, der leistet gute Arbeit. Meistens arbeite ich dort, seltener im Home Office. Für den Anfang würde ich Sie gern zu einigen meiner Auswärtstermine mitnehmen, die in den Briefen erwähnt wurden. Vielleicht fällt Ihnen da etwas auf.“
Kay nickte und kritzelte weiter an seinen Notizen. „Klingt gut. Ich habe noch ein paar andere Leute auf meiner Liste, aber das takten wir ein. Ich meine, wenn Sie jetzt nach unserem Gespräch das Gefühl haben, ich könnte Ihnen weiterhelfen.“
„Ehrlich gesagt könnte ich mir niemand Besseren vorstellen.“
Kay blickte von seinen Notizen auf. Täuschte er sich, oder hatte sich Engels Tonfall gerade subtil verändert? Die Lachfalten um seine Augen waren jedenfalls zurück, und er hatte den Kopf leicht schief gelegt, betrachtete Kay eingehend. Er wirkte jetzt deutlich gefasster als zu Anfang ihres Gesprächs, viel selbstsicherer. Wie der Herr der Lage. Er strahlte Autorität aus, und Kay konnte ihn sich in diesem Moment gut als seinen Chef vorstellen. Er brachte alle Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit mit, er war humorvoll, ehrlich, wortgewandt. Attraktiv.
Kay bereute den Gedanken, sobald er ihn zu Ende gedacht hatte. Scheiße, wie kam er jetzt darauf?

[Plastikefeu hält sich gut | Datum der VÖ: 24. April 2023]

© Text & Cover: Tristan Lánstad
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
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